Pflegende Kinder und Jugendliche in der Pflegeberatung2020-08-12T13:23:03+01:00

Fachgebiet Pflegeberatung

Gastbeitrag von Veronika Vahrenhorst

Dipl. Sozialarbeiterin und Leitung des Pflegestützpunkt Lichtenberg, Einbecker Straße 85, Berlin

Kinder und Jugendliche mit Pflegeverantwortung im Pflegestützpunkt Lichtenberg

Das Land Berlin und die Berliner Kranken- und Pflegekassen haben im Jahr 2009 flächendeckend Pflegestützpunkte (PSP) eingerichtet. Die Pflegestützpunkte sind Anlaufstellen für Menschen, die in unterschiedlichster Form Information, Beratung und Unterstützung bezüglich Pflegebedürftigkeit brauchen. Die Pflegestützpunkte verfügen über ein Netzwerk an Kooperationspartnern für pflegerische, medizinische und soziale Leistungen und nehmen dabei eine vermittelnde und organisierende Rolle ein.

Die Pflegestützpunkte beraten alle Menschen, die Fragen zu Pflege und Unterstützungsmöglichkeiten, zu Hilfen im Alter, sowie zur Hospiz- und Palliativberatung haben. Dazu zählen pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige, Freunde und Bekannte, Eltern mit pflegebedürftigen Kindern und Menschen, die wegen Beeinträchtigungen oder Behinderungen Unterstützung und Förderung brauchen. Ebenso die große Gruppe der Personen, die die Pflege der Angehörigen und ihren Beruf vereinbaren müssen. Unsere Beratung findet unabhängig von Alter, Krankheitsbild und Herkunft statt.

Die Pflegestützpunkte bilden somit einen wichtigen Multiplikator bei der Identifizierung und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen mit Pflegeverantwortung. Sie haben direkten Kontakt zu Familien in denen Kinder und Jugendliche an der Pflege beteiligt sind.

Pflege in der Familie kann für Kinder, zum Beispiel bedeuten: Unterstützung im Haushalt, bei der Körperpflege, Sprachmittlung, Begleitung zu Ärzten und Therapeuten und die Begleitung zu Beratungsstellen und Ämtern. Recht häufig übernehmen Enkel und Urenkel mittlerweile die gesetzliche Betreuung und/oder haben eine Vorsorgevollmacht für ihre Großeltern, meist ohne zu wissen welche Verantwortung sie dabei übernehmen!

Pflegende Kinder und Jugendliche noch nicht im Fokus der Pflegeberatung

Der Pflegestützpunkt Lichtenberg wurde 1994 als Beratungsstelle für ältere Menschen ab 60 Jahren und ihre Angehörigen gegründet. Im Jahr 2009 wurde er in das System der Berliner Pflegestützpunkte integriert. Bei den älteren Lichtenberger Bürgern und Bürgerinnen sind wir schon lange als Beratungsstelle rund ums das Thema Pflege und Alter bekannt und sind mit der Beratung dieser Zielgruppe gut ausgelastet. Neben der persönlichen Beratung in den Sprechzeiten, finden Beratungen außerhalb der Sprechzeiten statt. Darüber hinaus führen wir zunehmend Beratungen bei Hausbesuchen durch.

Bisher sprechen wir die Gruppe der Kinder und Jugendlichen mit Pflegeverantwortung sehr selten an und werden als Beratungsstelle auch für diese Zielgruppe noch nicht wahrgenommen. Dies hat unterschiedliche Gründe. Zum einen liegt es daran, dass die Öffentlichkeitsarbeit der Berliner Pflegestützpunkte bisher eher die Generationen der Erwachsenen und älteren Menschen anspricht.  Soziale Medien beispielsweise werden in den Pflegestützpunkten für die Öffentlichkeitsarbeit so gut wie nicht genutzt.

Ein weiterer Grund ist, dass die personellen Ressourcen nicht ausreichen, um die Gruppe der Kinder und Jugendlichen mit Pflegeverantwortung ausreichend und sicher zu identifizieren und in der Beratung darauf einzugehen. Aus meiner Sicht bedarf es weiterem Personal, um z.B. in der Beratung erwähnte Kinder und Enkelkinder anzusprechen, entsprechende Beratungsangebote zu schaffen und passende Netzwerkstrukturen aufzubauen.

Anknüpfungspunkte und Handlungsmöglichkeiten

Es gab in der Vergangenheit verschiedene Beratungssettings, bei denen das Thema „angeschnitten“ wurde, aber in der akuten Pflegesituation keiner weiteren Bedeutung beigemessen wurde. Beispiele:

  • Erwachsene beraten sich bzgl. der Pflege ihrer pflegebedürftigen Lebenspartner oder ihrer pflegebedürftigen Eltern. In dem Beratungskontext stellt sich heraus, dass sie früher schon selbst Geschwisterkinder, Großeltern oder/und ihre Eltern betreut und gepflegt haben. Das Thema wird aber in der akuten Pflegesituation verdrängt und findet keine weitere Bedeutung.
  • Enkel und Urenkel übernehmen die gesetzliche Betreuung und/oder haben eine Vorsorgevollmacht für ihre Großeltern.
  • Kinder und Jugendliche von Klienten mit Migrationshintergrund sind häufiger in die Pflege (Unterstützung im Haushalt, bei der Körperpflege, Sprachmittlung, Begleitung zu Ärzten und Therapeuten, Begleitung zu Beratungsstellen, Ämtern etc.) eingebunden.
  • Kinder und Jugendliche stellen nicht in Frage, ob sie pflegen, sondern es ist eine Selbstverständlichkeit ihre Angehörigen (Eltern, Geschwisterkinder, Großeltern) zu unterstützen.

Im Rahmen der Beratung gilt es zu erfragen, ob es Kinder/jugendliche gibt, die in die Pflege involviert sind und welche Aufgaben sie übernehmen. Dabei ist eine ständige Begleitung notwendig und die Sensibilisierung dafür, zu äußern, wenn der Punkt der Überlastung erreicht ist. Gemeinsam mit der Familie muss über Entlastungsangebote für die Kinder gesprochen werden. Ebenso darüber welche Möglichkeiten es gibt die Doppel- und Dreifachbelastung (Schule, Pflege, Sportverein) zu mindern.

Die Identifizierung der Kinder und Jugendlichen mit Pflegeverantwortung kann beispielsweise über Schulsozialarbeit, Lehrer, pädagogisches Personal in Schulen und Freizeiteinrichtungen und Kindertagesstätten erfolgen. Darüber hinaus können Einrichtungen und Gremien wie die Landeselternvertretung, Ausbildungsstellen, offene Jugend Sozialarbeit, Selbsthilfeeinrichtungen und Behindertenverbände für das Thema sensibilisiert werden und Möglichkeiten der Entlastung überlegen.

Angebote wie Soziale Medien (z.B. Facebook, Instagram) und Online Beratungen durch Links auf Homepage der Schule/Kita oder für die Jugendtelefonseelsorge, das Kindernottelefon oder WhatsApp- Gruppen können Anfänge sein.

Ich denke, dass die Beratung von Kindern und Jugendlichen mit Pflegeverantwortung durchaus zu den Aufgaben eines Pflegestützpunktes gehört. Es bedarf aus meiner Sicht einer Sensibilisierung der BeraterInnen in den Pflegestützpunkten zu dem Thema durch kompetente Fachstellen. Für die Netzwerkarbeit zur Identifizierung der Zielgruppe, der Schaffung von Angeboten und die Vernetzung untereinander müssen allerdings zusätzliche Personalressourcen geschaffen werden und das natürlich in enger Zusammenarbeit mit den vorhandenen Berliner Institutionen, wie beispielsweise der Fachstelle für pflegende Angehörige, Menschenkind, Pflege in Not und den Kontaktstellen PflegeEngagement.