Jugendarbeitsschutzgesetz – Kindeswohl und Pflegeverantwortung bei Kindern und Jugendlichen
Kinder und junge Erwachsene, die Familienmitglieder mit geistigen oder körperlichen Einschränkungen haben, fühlen sich oft verantwortlich. Sie unterstützen mitunter in einem Ausmaß, das entgegen dem Kindeswohl, der Pflegeverantwortung bei Kindern und Jugendlichen und dem Jugendarbeitsschutzgesetz stehen. In Deutschland sind über 6 % aller 10-19-jährigen pflegende Angehörige und kümmern sich um ein Familienmitglied. Das sind fast 500 000 junge Menschen. Die Verantwortung, die Kinder und Jugendliche unter diesen Umständen übernehmen zeigt sich dabei häufig als nicht altersgerecht. Deshalb kann sich im Einzelfall die Frage nach dem Kindeswohl im Sinne des Jugendarbeitsschutzgesetzes ergeben.
Wir möchten Ihnen nachfolgend einen kurzen Überblick über die rechtliche Seite der Pflege durch Kinder und Jugendliche geben. Wir nehmen Bezug auf das Kindeswohl, die Wahrung der Grundbedürfnisse und der Rechte der Kinder.
Young Carers – Kinder und Jugendliche in der Pflege
Young Carers sind Minderjährige und junge Erwachsene, die sich um erkrankte Menschen kümmern, die Hilfe benötigen. Derzeit gibt es knapp eine halbe Million junger Menschen in Deutschland, die sich unbezahlt um die Pflege von nahen Verwandten, Freunden oder auch Nachbarn kümmern.
In einigen Fällen sind die Kinder und Jugendlichen so sehr in die Pflege eingespannt, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche zurückstellen. Auch soziale Isolation und ihre abfallende Schulleistungen sind Folgen. Dies kann akute und langfristige Auswirkungen haben – psychisch, sozial, körperlich und auch finanziell.
Oft übernehmen sie die Aufgaben unhinterfragt, da sie aufgrund der Wohnverhältnisse und der Nähe zum Erkrankten der erste Ansprechpartner sind. Auch wenn es in manchen Fällen bereits Entlastung durch die Mithilfe von Pflegediensten oder Pflegekräften gibt, werden manche Aufgaben und Kleinigkeiten doch automatisch von den Kindern und Jugendlichen übernommen.
Die Rechte der Kinder
Kinder haben Rechte, die geschützt werden sollten
- Das Recht auf Gleichheit.
- Das Recht auf Gesundheit.
- Das Recht auf elterliche Fürsorge.
- Das Recht auf Privatsphäre und persönliche Ehre.
- Das Recht auf Schutz vor Ausbeutung und Gewalt.
- Das Recht auf Spiel, Freizeit und Ruhe.
- Das Recht auf Meinungsäußerung, Information und Gehör.
- Das Recht auf Bildung.
Sind Kinder und junge Erwachsene mit Pflege in der Familie konfrontiert, passiert es schnell, dass eines oder mehrere dieser Rechte nicht mehr gesichert werden kann. Damit wird auch das Jugendarbeitsschutzgesetz verletzt.
Kindeswohlgefährdung erkennen – richtig nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz handeln
Pflegeverantwortung als Kindeswohlgefährdung ist nicht leicht erkennbar. Viele der Familien, in denen Kinder ein hohes Maß an Verantwortung übernehmen, verstecken die Umstände vor Außenstehenden. Kindeswohlgefährdung lässt sich nur mit Blick auf die Lebenssituation der Betroffenen erkennen. Nämlich dann, wenn die Pflege und Verantwortung zu Hause keine normale Kindheit oder Jugend ermöglicht. Hilfe leisten für kranke Menschen kann ein wichtiger Erfahrungsschatz im jungen Alter sein. Trotzdem ist in schweren Fällen mit hoher Pflegeverantwortung für diese Kinder eine Chancengleichheit in der Schule / Ausbildung / Uni nicht gegeben. Oft sind soziale Kontakte eingeschränkt und eine Ablösung aus dem Elternhaus wird erschwert.
Es ist schwer zu differenzieren, ob in bestimmten Fällen das Kindeswohl gefährdet ist oder nicht – jeder junge Mensch nimmt diese Aufgaben unterschiedlich belastend wahr. Um das zu beurteilen, ist die Einschätzung von Experten oder erfahrenen Fachkräften hilfreich.
Hinweise auf mögliche Überlastung und unangemessene Pflegeverantwortung
- Die Kinder oder Jugendlichen sind in ihrer Pflege-Verantwortung in der Familie unersetzlich. Es gibt niemand anderen, der diese Aufgaben übernehmen kann. Das ist keine altersgerechte Verantwortung.
- Die Kinder oder Jugendlichen übernehmen die Aufgaben in der Pflege hauptsächlich allein.
- Die Kinder oder Jugendlichen übernehmen Intimpflege.
- Es gibt keine Unterscheidung nach Aufgaben, die dem Können und den Möglichkeiten der jungen Menschen entsprechen. Alles was anfällt wird gemacht, auch wenn es sie emotional oder körperlich überfordert.
- Es gibt keine klare Aufgabenverteilung und die Erwartungshaltung an die jungen Unterstützer ist oft zu groß. Junge Menschen fühlen sich schnell verantwortlich für schwierige Situationen innerhalb der Familie und versuchen durch Hilfe und Unterstützung diese zu kompensieren.
- Die Kinder und Jugendlichen kümmern sich um Probleme und fangen Sorgen anderer Familienmitglieder in einem altersgerechten Maße auf, was eigentlich nicht in ihrer Verantwortung liegen sollte.
- Die jungen Menschen sind ständig in Alarmbereitschaft und glauben, immer und überall verfügbar sein zu müssen.
- Die jungen Erwachsenen werden derart in die Verantwortung genommen, dass sie keine ausgewogenen Ruhezeiten mehr haben oder ihre Freizeit zu stark eingeschränkt wird.
Nach dem Resilienzkonzept nimmt jedes Kind und jeder junge Erwachsene die Pflegeaufgaben unterschiedlich belastend wahr: Daher ist je nach Situation eine individuelle Einschätzung vorzunehmen, welche Auswirkungen die Unterstützung des jungen Menschen auf seine eigene Entwicklung hat.
Das Jugendarbeitsschutzgesetz – Wer gibt Auskunft und wer kann helfen?
Besteht der Verdacht auf Kindeswohlgefährdung und Verletzung des Jugendarbeitsschutzgesetzes, können Sie sich an folgende Stellen wenden.
- Fachberatung in Ihrem zuständigen Jugendamt durch die Kinderschutzkoordinatoren.
- Fachberatung gemäß § 8a/8b SGB VIII in den bundesweit eingerichteten Kinderschutzzentren für eine fachliche Beratung und Begleitung im Kinderschutzfall.
Für Berlin: Kinderschutz-Zentren in Berlin Neukölln sowie Lichtenberg
Deutscher Kinderschutzbund Landesverband Berlin e. V.
Die Experten dieser Fachstellen bieten sowohl externe als auch anonyme Beratung an.
Frühzeitiges Erkennen und Helfen als Präventionsmaßnahme
Um einer Überlastung und im schlimmsten Fall einer Kindeswohlgefährdung entgegenzuwirken, ist es wichtig, dass Kinder und Jugendliche von der Pflege entlastet werden. Hier gibt es eine Reihe von Pflegedienstleistungen und Betreuungsangeboten, die über die Pflegekasse finanziert werden können. Oft tun sich Familien aber schwer, fremde Hilfen in Anspruch zu nehmen. Hier kann es helfen, den Eltern die Situation ihrer Kinder vor Augen zu führen. Kinder und Jugendliche zeigen ihre Überlastung oft nicht vor den Eltern.
Möglichkeiten für Fachkräfte, Kindern und Jugendlichen mit Pflegeverantwortung zu helfen:
- Information und Hintergrundwissen für Fachkräfte
Mit dem nötigen Hintergrundwissen fühlen sich Kinder und Jugendliche besser verstanden und ernst genommen.
Informationsquellen mit wertvollen Inhalten finden Sie hier. - Wissen verbreiten
Leider ist noch immer viel zu wenig bekannt, dass es junge Menschen mit Pflegeverantwortung gibt. Die Weitergabe von Informationen zu den Auswirkungen der Pflegeverantwortung und Tipps, wie sie erkannt werden können, ist ein wichtiger Schritt zur Aufklärung. Je mehr Fachkräfte und Einrichtungen sensibilisiert sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Betroffene sich Fachkräften anvertrauen und Unterstützung erhalten. - Betroffene erkennen und Zugang finden
Es ist nicht immer leicht zu erkennen, ob junge Erwachsene Pflegeverantwortung übernehmen. Betroffene übernehmen nur selten die Initiative, daher ist es hilfreich Anzeichen und Hinweise deuten zu können. Eine wertschätzende und vertrauensvolle Haltung gegenüber den Jugendlichen hilft, einen Zugang zu ihnen zu finden und ins Gespräch zu kommen. - Zuhören
Junge Menschen mit Pflegeverantwortung wollen und müssen ernst genommen werden. Vor allem Zuhören, ohne zu bewerten, hilft den Betroffenen ohne Schuldgefühle über ihre eigenen Bedürfnisse zu sprechen. - Unterstützung geben und weiterführende Hilfen kennen
Viele Jugendliche mit Pflegeverantwortung würden Hilfe in Anspruch nehmen, wenn sie wüssten, dass es sie gibt und wo sie diese finden.
Eine Auswahl an Unterstützungsangeboten für Kinder, Jugendliche und deren Familien sind hier gelistet. - Respektvoller und achtsamer Umgang mit den Betroffenen
Es sollte selbstverständlich sein, Kinder und Jugendliche als eigenständige Persönlichkeit anzuerkennen, sie gemäß ihrer spezifischen Entwicklungsanforderungen zu sehen und wohlwollend zu begleiten. Zudem ist es wichtig, junge Menschen aktiv in den Prozess einzubeziehen, da sie den Wunsch äußern, wahrgenommen, informiert und ernst genommen zu werden.
Viele Jugendliche mit Pflegeverantwortung geben an, dass ihnen ein einfaches empathisches, und vertrauensvolles Gespräch mit einer Fachkraft schon hilft und ein erster Schritt ist, um sich selbst Unterstützung zu holen.
Beratung und Information für Familien im Sinne des Jugendarbeitsschutzgesetz
Um Jugendliche vor einer eventuellen Überlastung oder der Gefährdung des Kindeswohls zu schützen, müssen betroffene Familien ganzheitlich beraten und unterstützt werden. Denn oft wissen weder die Eltern noch die Jugendlichen, dass Hilfe möglich ist, welche Hilfe möglich ist und wo sie diese bekommen.
Eltern benötigen oft Unterstützung bei der eigenen Krankheitsverarbeitung und Lebensbewältigung. Damit wird auch die Wahrnehmung der altersgerechten Bedürfnisse ihrer Kinder verbessert.
Kinder und Jugendlichen mit Pflegeverantwortung sollten darin bestärkt werden sich ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu erlauben und diese auch zu äußern. Zudem sollen regelmäßige außerfamiliäre soziale Kontakte ermöglicht werden.
Neben den Bedürfnissen der Eltern und der der Kinder, sind auch die familiären Bedürfnisse ein wichtiger Aspekt. Die offene Kommunikation innerhalb der Familie kann helfen, eine neue gemeinsame Basis im Umgang mit der Erkrankung zu finden und die jungen Erwachsenen vor einer Überlastung zu schützen.